Das Bootshaus in Köln löst das Berghain als besten Club Deutschlands ab. Julia Kopatzki wusste es schon immer
DIE ZEIT, Ressort Z, 17.04.2019
Wer nicht weiß, dass es das Bootshaus gibt, wird es niemals finden. Auf der Schäl Sick, der falschen Rheinseite, wie sie hier in Köln sagen, 25 Minuten von der nächsten Bahnstation entfernt, vorbei am dunklen Messegelände, unter den Betonpfeilern der Zoobrücke, neben der Kölner Werft, da steht er: der angeblich beste Club der Republik, der achtbeste der Welt.
Für viele mag das eine Überraschung sein, für mich nicht. Schon 2010 wusste ich: Das Bootshaus ist der beste Club der Stadt, des Landes, vermutlich sogar der Welt. Ich war 17 und fand alles cool, für das ich zu jung war. Jedes Wochenende fuhr ich von der linken, der richtigen Rheinseite zum Bootshaus. Vom Kinderzimmer bis in die Clubschlange brauchte ich 45 Minuten.
Meine Freunde kamen nur selten mit. Bootshaus? Zu weit draußen. Kölns Zentrum liegt auf der anderen Seite des Rheins, dort, wo die schönen Häuser stehen, wo es grün ist und lebendig. Schäl Sick, die unansehnliche Seite Kölns – öde Wohnsiedlungen, Industrie, der lächerlich kleine Hafen, an dessen Rand das Bootshaus liegt, deswegen auch der Name.
Sie hatten keine Ahnung, das hier war groß. Das sah ich allein schon daran, dass alle immer von weit her kamen. Ich fand dort neue Freunde, aus Neuss, Dortmund, Trier und Neuwied. In meiner Erinnerung sind wir alle sehr cool und sehr erwachsen. Es lief französischer Elektro, ich tanzte immer bis zum Morgen.
Kölner sind fürchterliche Lokalpatrioten. Kölsch und Karneval sind ihnen heilig, aber eigentlich olle Kamellen. Sie würden gerne auch in einer Weltstadt leben, die Trends vorgibt statt nachmacht. Also eilen sie hin zu allem, was neu ist und vielleicht das große Ding werden kann. Ein paar Jahre versuchten sie es mit dem Bootshaus, aber es wurde nicht groß. Also haben sie es da drüben auf der Schäl Sick vergessen.
Auch ich ging irgendwann in andere Clubs, zog nach Berlin, nach Hamburg und vergaß das Bootshaus. Bis ich las, dass es nun laut einer Umfrage des DJ Mag der beste Club des Landes sein soll. Seit 2008 gehörte dieser Titel dem Berghain in Berlin. In Deutschland kam lange kein Club daran vorbei. Bis jetzt.
Wer überhaupt schon mal vom Bootshaus gehört hat in den vergangenen Jahren, der redet von Großraumdisco, Chartmusik und von dem dazu passenden Publikum. Als ich meinem jüngeren Bruder erzähle, warum ich wieder in Köln bin, verdreht er die Augen. »Du hast Glück«, sagt er. »Immerhin ist heute Charlotte de Witte da. Aber Bootshaus, das ist echt Kommerz.« Er spricht es aus wie ein Schimpfwort.
Freitagnacht, kurz nach eins, die Schlange vor dem Bootshaus ist kurz. Nicht weil keiner kommt, sondern weil alle schon da sind. Die Party heute heißt »Gods & Monsters«. Es läuft Elektro, würde der Laie sagen. Das ist nur fast richtig, weiß der Kenner. 25 Euro Eintritt, zwölf DJs, Techno, Minimal, Hard Trap auf drei Floors. Charlotte de Witte kommt aus Belgien und ist das neue große Ding der Technowelt. In London und New York, Sydney und Montreal bespielt sie die besten Clubs der Szene.
2010 hörten wir Boys Noize, Steve Aoki oder Bloody Beetroots, damals nur im Bootshaus, heute im Mainstream. Die »Loonyland«, eine monatliche Party, brachte sie alle nach Köln. Dazu Tänzer auf der Theke, schriller verkleidet als an Karneval, alles bunt. Headbangen, Moshpits, Exzess, Eskalation. Mal fing sich jemand ein blaues Auge, mal brach sich jemand eine Rippe.
An den Türstehern vorbei geht es in den Innenhof. Sieht noch aus wie früher: Efeu auf Backstein, Bänke aus Holzlatten und eine Bar, nur die Pommesbude ist neu. Muskelshirt steht neben Sakko, kurzes Kleid neben all black everything. Die meisten sind irgendwo zwischen Schulabschluss und erstem Job. Ich bin 26 und komme mir alt vor. Das war mal anders.
Fotos von damals zeigen allerdings auch, dass wir zwar wild tanzten, aber das Bootshaus aussah wie jede Großraumdisco und wir Röhrenjeans, Karobluse und schrägen Pony trugen. Was man eben so anzog.
Vom Hof gehen vier Türen ab, ich öffne die erste und lasse mich vom Club verschlucken. Ich lande in der Blackbox, harter Bass, darüber Scheppern, Schreddern. Es ist dunkel, an der Decke rotieren leuchtende Ventilatoren, Nebel zieht durch den Raum. Ich höre auf zu reden und beginne zu tanzen. Irgendwo weit vorne erahne ich einen DJ. Die Musik ist so laut, dass man seine Gedanken nicht hört. Die Tanzenden werfen ihre Körper hin und her, als würde die Musik sie in einem unsichtbaren Kreis herumschubsen, manchmal schubsen sie sich gegenseitig.
Die Macher des Bootshauses sind immer noch dieselben: Sascha Weber, lange Haare, Piratenbart, Kajal um die Augen, alles schwarz, und Ulrich Rauschenberger, bunte Kontaktlinsen, viel Schminke. Vor 15 Jahren haben sie mit den monatlichen Loonylands begonnen, heute bestimmen sie nahezu das gesamte Programm des Clubs. Bekannte von früher arbeiten jetzt auch hier, sie sind dem Bootshaus treu geblieben. Als mir Sascha entgegenläuft, begrüßt er mich, als wäre ich nach einem langen Urlaub endlich zurück.
Vor ein paar Jahren haben sie das Bootshaus umgebaut. Drei Räume, Blackbox, Dreherei, Mainfloor, neue Anlage, neue Lichter. Immer noch Großraum, mehr heilige Stätte als Disco, Beton, Licht, Härte, die bewährten Zutaten.
Charlotte de Witte beginnt auf dem Mainfloor. Ein riesiger Raum, Stufen führen von den Seiten hinein in die Feiernden. Blaues Licht blitzt durch die Halle, aus den Boxen kommt düsterer, harter Techno. Die Anlage, eine Funktion-One, ist die gleiche, die auch das Berghain beschallt. Leuchtende Quader und Würfel umrahmen die DJs.
DJs werden hier zu Rockstars, die Partys sind exzessive Konzerte. Eben noch hat Gregor Tresher gespielt, seine eigenen Tracks live zusammengebastelt, weit über den Köpfen der Tänzer, Techno von der Kanzel. Die Leute kommen wegen der Musik, denke ich mir, nicht wegen des Rufs. So wie man weit zu Konzerten oder Festivals fährt, so ist es auch hier. Ein Festival für eine Nacht.
Es wird heiß. Über den Köpfen schießen Flammen in die Luft, die Menge johlt. Götter und Monster, Dunkelheit und Licht.
Alle waren schon da, die Technolegenden, die Neuentdeckungen, DJs aus allen Ecken der Welt. Die, die sonst im Berghain spielen. Aber auch Robin Schulz oder Felix Jaehn, Musiker, die in den Charts laufen. Und das bleibt dann hängen, weshalb sie in Köln nur vom Kommerz erzählen.
Wie seltsam die Kölner mit dem nun besten Club des Landes umgehen, zeigt sich auf der anderen Rheinseite: Jeden Mittwoch veranstaltet Sascha die »Beats Bass Cologne«. Im Winter im Gewölbe, düsterer Technoclub im Belgischen Viertel, im Sommer im Odonien, Schrottplatzmärchenwelt in Nippes. Da kommen die Kölner dann: richtige Seite, richtige Clubs.
»Ja, wir machen kommerzielle Partys«, sagt einer der Jungs vom Bootshaus, »aber viel öfter auch genau das Gegenteil.« Der Kit Kat Club aus Berlin schmeißt im Bootshaus seine Auswärtspartys: Lack, Leder und Orgien sind ausdrücklich erwünscht, auf Schwulenpartys gibt es einen Darkroom. Ein bisschen Berghain in Köln-Deutz.
Zwei Drittel der Gäste kommen nicht aus Köln. Es gibt eine Facebook-Gruppe für Fahrgemeinschaften aus Frankfurt und Stuttgart, aus Hamburg, und manchmal reisen sogar welche aus Berlin an.
Ich stehe wieder im Hof und blicke auf den Lichtball aus LED-Schnüren in der Mitte. Das soll er nun also sein, der beste Club des Landes. Normale Leute, beeindruckende Effekte, sehr gute Musik. Was hier passiert, ist so normal, dass sich alle angesprochen fühlen, und so speziell, dass sich fast alle ganz besonders fühlen. Party ist hier jedermanns Recht. Come as you are, wenn du gerne Lack trägst, bist du willkommen, aber auch, wenn du echt langweilig aussiehst. Die Facebook-Seite des Bootshauses ist zwar deutlich kleiner als die des Berghains. Aber die Freunde des Kölner Clubs setzen sich für ihren Laden ein. Zehntausende klickten auf der Seite den Link zur Abstimmung des DJ Mag.
Die Nächte im Bootshaus sind allerdings kürzer als die in Berlin. Am längsten geht es in der Dreherei. Kaltes Licht, der DJ steht hinter einem Gitter, die Wände sind aus nacktem Beton. Tech-House aus der Funktion-One. Spätestens morgens um zehn wird auch hier Schluss sein.
Zurück auf der großen Straße. Richtung Bahnhof, an der Messe vorbei, sehe ich in der Ferne die Spitzen des Kölner Doms. Lächerlich! Das große Ding steht jetzt auf der Schäl Sick.