Der Spargel ist vielen Deutschen wie ein Fetisch. Und nirgendwo wird er mehr geliebt als in Nienburg. Mit Festen und Königinnen huldigen sie hier dem Gemüse
Endlich wieder Spargel. Zumindest auf dem Teller der neuen Königin. Gestern hatte sie nämlich keinen. Ausgerechnet der Tag vor ihrer Krönung war der erste Tag der diesjährigen Spargelzeit, an dem es für sie statt Spargel bloß Bratwurst gab.
Wirklich der erste? Die Spargelzeit begann immerhin vor vielen Wochen. Wirklich der erste, sagt sie. In wenigen Stunden wird man Lea Stieber eine goldene Krone aufsetzen und eine weiße Schärpe umhängen, und kleine Mädchen werden sie mit großen Augen anstarren, weil sie dann ist, wovon die Märchen erzählen: eine echte Königin. Die 25. Nienburger Spargelkönigin.
Alle mögen Erdbeeren und niemand mag Rosenkohl, aber der Spargel spaltet die Menschen. Wie ein Schwert teilt die Stange das Land in zwei Hälften: auf der einen Seite die, die ihn lieben, auf der anderen jene, die ihn und den ganzen Zirkus, der mit ihm einhergeht, hassen. Asparagus-Anhänger hier, Hollandaise-Horror dort. Die Gefühle der Deutschen gegenüber dem Spargel sind so gegensätzlich wie die Seiten einer Spargelstange selbst. Lieblich und zart wie das Köpfchen, hart und holzig wie das Ende. Zeit also, nun, da die Spargelsaison frecherweise schon wieder zur Hälfte vorbei ist, eine Zwischenbilanz zu ziehen, zu schauen, wie es um das Gemüse bestellt ist. Natürlich nicht irgendwo. Natürlich in Nienburg.
Die Menschen in Nienburg sind so etwas wie Spargel-Ultras. Im mittelgroßen, mittelmäßigen Ort an der Mittelweser bauen sie das Gemüse nicht bloß an, sie huldigen dem Spargel. Sie haben ihm in der Altstadt einen Brunnen errichtet, haben ihm eine Uhr gebaut und die größte Spargelskulptur der Welt geschnitzt. 4,50 Meter hoch ragen die hölzernen Spargel in den Himmel und sehen ein bisschen aus wie die Dolomiten. Beim Spargellauf rennen sie dem Gemüse zu Ehren. Als Nächstes plant die Stadt eine Spargelradtour.
Die Nienburger haben dem Spargel sogar ein Museum gewidmet, ein kleines nur, aber immerhin. Erdbeeren haben in Deutschland kein Museum. Und im Garten dieses Museums findet an einem Sonntag im Mai das Spargelfest statt. Heute bekommt der Nienburger Spargel seine neue Königin. Wird sie die Menschen endlich wieder vereinen?
Die Sonne knallt schon am Morgen. Obwohl das Fest erst in einer Viertelstunde, um elf Uhr nämlich, offiziell beginnt, ist der Museumsgarten gut gefüllt. Rentner, die ihren Rollator über die Wiese schieben, ein Pärchen mit Hund. Eine Dame fragt, was man denn hier wolle, im kleinen Nienburg, wo es doch nichts zu gucken gebe. Na, Spargel essen natürlich. Sie etwa nicht? „Den esse ich zu Hause. Alles da, schon fertig geschält.“ Sie lacht, als wäre ihr ein cleverer Trick geglückt, dann rammt sie ihren Gehstock in die Erde und hievt sich langsam davon.
Ein letztes Mal begrüßt die noch ungefähr vier Stunden amtierende Spargelkönigin Leonie Ritz ihre Gäste. Sie trägt Krone und Spargelkorb seit 2019, mithin länger als jede Spargelkönigin vor ihr. Normalerweise kürt Nienburg jedes Jahr eine neue Königin; die Pandemie aber machte das Spargelfest und die Krönungsfeiern zuletzt unmöglich. War nicht so schlimm, findet die Noch-Königin, sie will das Amt nämlich gar nicht abgeben. „Es fühlt sich an, als würde man mir etwas wegnehmen“, sagt sie.