Das verbotene Viertel

Auf dem Kiez gab es alles, was jetzt verboten ist. Während das Land über Lockerungen spricht, wird das hier nicht helfen. Unterwegs mit denen, die trotzdem noch da sind

ZEIT Hamburg Online, 23.04.2020

Der Kiez, das sind die Reeperbahn und die Große Freiheit, die Herbertstraße, der Spielbudenplatz und der Hans-Albers-Platz. Sie sind noch da, die Straßen und Plätze, alles steht noch. Und doch: Der Kiez ist weg. Die Schnapsregale der Kneipen sind ausgeräumt, die Fassaden zugenagelt, die Zapfhähne sind abgedreht, der Strom manchmal gleich mit, die Lichter sind ausgeknipst, die Musik verstummt und der blaue Rauch verflogen. Ein ganzes Viertel wurde auf Standby geschaltet. 

Denn hier kam wie wohl nirgends sonst in Deutschland auf engem Raum zusammen, was jetzt verboten ist. Kneipen: geschlossen. Restaurants: höchstens zum Mitnehmen. Clubs: geschlossen. Prostitution: untersagt, drinnen und draußen. Konzerte, Musicals, Theaterstücke: abgesagt. Sexshops, Souvenirläden, Spielhallen: zu. Auf dem Kiez gibt es Kneipen, die seit fast 100 Jahren da sind, manche hatten noch nie dicht. Kann das Viertel das Virus überleben?

Am Dienstag nach Ostern biegt Daniel Schmidt in einem blauen Kleinbus auf den Hamburger Berg, eine Seitenstraße der Reeperbahn, in der sich dicht an dicht die Bars drängen. Sie heißen Goldener Handschuh, Bermuda, Rosis Bar und Hong Kong Hotel. Schmidt parkt den Bus, auf dem in weißer Schrift „Wer wenn nicht wir“ steht, und läuft zu seiner Kneipe, dem Elbschlosskeller.

Das Schild, auf dem der Name steht, ist abgeschraubt, die Leuchtröhren herausgenommen und die Fassungen wurden mit schwarzem Gafferband verklebt, die Fenster haben sie mit Spanplatten vernagelt. Es ist kurz vor elf Uhr am Morgen, und obwohl die Kneipe geschlossen ist, ist sie komplett voll: Auf den Bänken stapeln sich T-Shirts und Pullover nach Größen sortiert, in der Ecke stehen Shampoos und Anti-Mücken-Sprays. Kisten mit Lebensmitteln türmen sich um die Stange in der Mitte der kleinen Kneipe.

Der Elbschlosskeller ist eine der Kneipen, in die Touristen oft neugierig ihre Nase halten, aber dann doch lieber gehen. Eine der Kneipen, in der die Polizei öfter mal vorbeikommen muss. Aber auch eine der Kneipen, in der man bleiben darf, wenn das Geld nicht mehr für ein neues Bier reicht. Für viele ist der Elbschlosskeller ein Ort, um sich aufzuwärmen, für manche ein Zuhause. 

Wo soll man in diesen Zeiten bleiben, wenn man kein Zuhause hat? Daniel Schmidt, tätowiert von der Kopfhaut bis zu den nackten Waden, hat die Hälfte seiner 35 Lebensjahre hinter dem Tresen des Kellers verbracht. Inzwischen gehören ihm drei Läden auf dem Kiez. Er kennt auch diejenigen mit Namen, die vor dem Casino sitzen, das schon seit Jahren geschlossen ist, und die, die vor Kentucky Fried Chicken ihre Isomatten ausgebreitet haben. Sie dürfen bei ihm auf Toilette gehen, manchmal stellt er ihnen ein Bier hin. Normalerweise reicht das. Jetzt nicht mehr. „Kein Publikum auf dem Kiez heißt für sie: Kein Geld mehr, kein Pfand, kein halbes Brötchen“, sagt Daniel Schmidt. Er ruft auf Facebook zum Spenden auf. 

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